Eine offene Stelle

Der Rücktritt machte es möglich: Neue Chancen. Zumindest für Kinder und Jugendliche. Und seltsamer Weise ist in der Öffentlichkeit noch niemandem aufgefallen, wie groß die Notwendigkeit einer Vision einer neuen Familienpolitik ist. Außer der neuerdings aufbegehrenden Stimme der Kinderärzte und Psychologen, die die Folgen der desaströsen Wegsperrpolitik anmahnen, gibt es kaum Lobby für die Jüngsten unserer Gesellschaft, denen die aktuelle Politik neben dem Klimawandel nun noch großzügig ein milliardenschweres Schuldenpaket in Aussicht gestellt hat. Als Folgen der weltweiten Pandemie, wie sie argumentiert. Die höchste Stelle im Bildungsministerium und die des Kulturministers sind hingegen leider nicht frei geworden, letztere scheint bis dato nicht existent. Eine Lobby für Bildung außerhalb des Wirtschaftsfaktors „Kinderaufbewahrung“ und eine für Kunst- und Kultur außerhalb von Event und Marketing existieren nur rudimentär. „Neustart Kultur“ posaunt die Regierung auf ihrer öffentlichen Webseite und bietet Almosen für anteilige betriebliche Kostendeckung und Zugang zum staatlichen Versorgungssystem Grundsicherung (Hartz IV). Und die Bundesländer, die eigentlich für Kunst- und Kultur zuständig sein sollten, unterstützen dies mit flankierenden Projektfinanzierungen in mikroskopischer Größenordnung.

 
Familie, Bildung und Kultur sind die Basis unserer menschlichen Sozialisierung. Wir feiern den technischen Fortschritt und sind stolz auf seine großartigen Errungenschaften. Doch was haben wir für ein überholtes Bild für die kleinste Zelle der Gesellschaft: Frauen erringen ihre scheinbare Gleichberechtigung, indem sie, wie ihre männlichen Kollegen, ihre Arbeitskraft ganztägig zur Verfügung stellen (im Gegensatz zu jenen jedoch oftmals für weniger Entlohnung). Der geschaffene Mehrwert aller „Arbeitnehmer“ fließt hingegen in die Gewinnmaximierung bei einigen wenigen privaten nationalen bzw. globalen Big-Money-Bossen oder in den staatlichen Fiskus zur Schuldenabtragung früherer Generationen, während Eltern mit ihrem mehr oder minder Lohn ihr Familienauskommen finanzieren müssen und dementsprechend gezwungen sind, ihre Kinder von früh bis spät in private oder staatliche Betreuung zu geben. Um nicht missverstanden zu werden: Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, einen Kita-Platz zu bekommen, damit es soziale Kontakte zu Gleichaltrigen pflegen und erste Bildungsangebote wahrnehmen kann. Aber eine 40 Stunden Woche sollte keinem Kind zugemutet werden müssen, zumal wir diese als Erwachsene für uns selbst längst ablehnen. Inzwischen sollte es uns doch um Gleichberechtigung aller Familienangehörigen gehen. Und das bedeutet, dass ein Kind zeitlichen Anspruch an Zuneigung sowohl mütterlicher als auch väterlicherseits hat, und zwar zu gleichen Anteilen, egal, ob das Elternpaar verheiratet ist oder nicht. Und selbstverständlich ist der Wert der aufgewendeten Zeit für die Zuwendung der Kinder gesellschaftlich ebenbürtig zu bewerten und finanziell in der Gesellschaft auszugleichen. Es ist ein Skandal, dass Menschen, die ihre Lebenszeit mit ihrem Kind teilen, und daher weniger in das Rentensystem einzahlen können, im Alter finanziell mit einer Minirente abgestraft werden, obwohl sie es sind, die den Generationenvertrag in Richtung Zukunft absichern, so dass sich z.Bsp. junge Eltern genötigt sehen, Homeoffice und Kinderbetreuung abenteuerlich zu managen, nicht selten zu Lasten der Kinder.

In der Pandemie ist alles sichtbarer geworden: Viele Menschen haben zwangsmäßig kaum oder wenige Aufgaben und leiden an Zeitüberfluss, andere sind völlig überlastet und leiden an Zeitmangel. Jeder technische Fortschritt erhöht dieses Ungleichgewicht, gewollt oder ungewollt. Und dies hat sich durch das politische Missmanagement in der Pandemie noch verstärkt. Aber es gibt auch Hoffnung: Die Halbierung der Kitagruppen- und Schulklassenstärken und die massive Aufstockung des Lehrpersonals sind die eigentlichen wirksamen Potentiale, um Kinder- und Jugendbildung tatsächlich zu fördern, so verlockend das Abschieben der Verantwortung auf Schulpsychologen und die Realisierung der Digitalisierung der Schule auch sein mag. Letztere können immer nur Begleitmaßnahmen sein, niemals jedoch Ersatz.
Die generalstabsmäßig organisierten Impfzentren haben neben den Impferfolgen noch etwas anderes gezeigt: Die simple Messung der Körpertemperatur in Sekundenschnelle an der Stirn eines Menschen, deren technische Handhabung bereits vor Ausbruch der Pandemie bekannt war, macht Tests für vieles überflüssig und eröffnet Öffnungsstrategien für Kunst und Kultur für zukünftige Pandemien, was im Übrigen in anderen Ländern längst praktiziert wird. Und wenn dann noch irgendwann erkannt wird, dass Kunst- und Kulturschaffende elementar dazu prädestiniert sind, uns den Weg in die Zukunft zu weisen und dieselben nicht nur von Luft und Liebe leben können, kann nichts mehr schief gehen.

 

Carmen Hoyer, 20.05.2021