Gedanken zur Demo für einen verkehrsbegleitenden Fahrradweg L21

Zum vierten Mal trafen sich heute engagierte Menschen zu einer Fahrraddemonstration, um ihrer Forderung nach verkehrssicheren Fahrradwegen eine Stimme in der Öffentlichkeit zu geben. Seit über 16 Jahren kämpfen Einheimische um einen verkehrsbegleitenden Fahrradweg zur L 21. Weder Bürgermeister noch parteienübergreifende Schulterschlüsse innerhalb der Gemeinden konnten bisher erfolgreich die Borniertheit der zuständigen Behörden im Landkreis Oberhavel besiegen, die ebenso lange mit kuriosen Ablehnungen die Planung und den Bau eines solchen Fahrradweges vehement verhindern. Inzwischen hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die sich aktiv an die Spitze dieses Kampfes stellt und das allgemeine Bürgerbegehren mit einer Petition organisiert. Neben der Anprangerung des behördlichen Starrsinns wurden erfreuliche finanzielle sowie planungstechnische Möglichkeiten aufgezeigt.
Dem Fahrrad eine erhöhte Priorität zu geben, ist jedoch nicht nur für die L21 das Gebot der Stunde. Bis zu 100 km/h Höchstgeschwindigkeit sind auf jener für PKW erlaubt. Und nicht wird sogar diese überschritten. Die Sicherheit eines Verkehrsteilnehmers mit dem Fahrrad ist auf solchen Landesstraßen, die auch innerhalb von Gemeinden verlaufen, in keinem Fall gewährleistet. Auch ist eine allgemeine Zunahme der Aggressivität der Verkehrsteilnehmer mit dem PKW gegenüber den Fahrradfahrern als vermeintliches Verkehrshindernis zu spüren. Das ist nicht verwunderlich, denn nach wie vor setzen die Bundespolitik mit ihren unzeitgemäßen Autobahnausbauprojekten sowie die regionale Politik im brandenburgischen Umland den individuellen Autoverkehr an die erste Stelle. Wie sollte es auch anderes sein, wenn die deutsche Wirtschaft noch immer, und seit Covid 19 sogar weiter verstärkt, schwerpunktmäßig auf individueller Automobilität basiert?
Die Stadt Berlin hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, um den individuellen Autoverkehr zurückzudrängen, da dieser studienbelegt zum Verkehrskollaps führt. Mit Fahrradstraßen, wo Autos nur Gäste sind, komfortablen Fahrradwegen, ausgedehnten 30kmh-Fahrzonen, massiven Parkraumeinschränkungen u.a. soll die Mobilität mit dem Fahrrad attraktiver gestaltet werden. Und Mobilität mit dem Fahrrad, das bedeutet nicht einfach nur 500 m bis zur nächsten S-Bahn-Station, sondern viele Berliner fahren täglich mehrere Kilometer zur Arbeit mit dem Fahrrad. Daher macht es mich wütend, wenn Menschen im sogenannten Speckgürtel mit einem unübertroffenen Egoismus der Meinung sind, die öffentliche Gemeinschaft müsse ihnen ihre Mobilität mit dem Auto garantieren, indem Parkhäuser, Parkflächen, asphaltierte Anwohnerstraßen bis in den hintersten Winkel endlos wachsend eingefordert werden. Angeblich könne man auf dem Land nicht ohne tagtägliche Autonutzung existieren, aber: In einer Gemeinde wie dem Mühlenbecker Land muss gar niemand mit dem Auto zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren, vorausgesetzt, man kann sicher das Fahrrad benutzen. Die Wegstrecken belaufen sich maximal um die 2-3 km mit einer Ausnahme des Ortsteils Zühlsdorf, wo derzeit ein öffentlicher Bus fährt. Es gibt inzwischen Fahrräder für alle Zwecke: Für Lastentransporte, für Wind und Wetter, für Kindertransporte in allen Größen und Ausstattungen. Unsere Groß-Gemeinden sind hier nicht größer als woanders Kleinstädte. Und auch dort haben Menschen wie ich früher fast ausschließlich das Fahrrad benutzt, weil es kaum öffentlichen Nahverkehr gab und das Auto Luxus war. Wir können doch nicht weiter ernsthaft daher schwätzen und so tun, als gäbe es die Klimasünder nur im Amazonas. Nein, unsere Bewegungsfaulheit und Bequemlichkeit, sowie die Verkaufspraktiken einer profitgierigen Wirtschaftsstruktur, die das Auto als Kokon für und gegen alles anpreist, haben dafür gesorgt, dass unsere grüne Gegend vor dem Verkehrskollaps steht und immer weiter entnaturalisiert wird. Wer sich noch einen Rest Sinnlichkeit bewahrt und Augen im Kopf hat, sollte sich in einer ruhigen Minute das Umweltdesaster des Autobahnringausbaus verinnerlichen. Abgesehen von der Zerschneidung der Landschaft in Stückelungen, denen kein Tier (außer über eine künstliche Tierbrücke entkommt), der riesigen Flächenversiegelung, den monströsen Lärm-, Gestanks- und Vibrationsbelästigungen für alles, was lebt und obendrein die studienbelegten erhöhte Verkehrsanziehung, werden mit einem weiteren schneller, höher, weiter keine Verkehrsprobleme gelöst werden. Auch der anstehende Straßenausbau der Ortsdurchfahrt der L21 durch Mühlenbeck mit einer anvisierten Verbreiterung der Straße ist ein ökologischer sowie siedlungstechnischer Skandal. Wozu eine Straße verbreitern, die schon längst komplett in eine 30 km/h-Zone umgewandelt gehört?! Und wenn es den LKW-Unternehmen mit ihren Schwerlasttransportern bzw. den PKW-Fahrern nicht passt, durch unsere Gemeinde durch zu rattern bzw. zu rasen, dann sollen sie es bleiben lassen. Ja, das klingt radikal, aber was ist das für eine Behördenstruktur, wo Gemeinden kein wirklich gewichtiges Mitspracherecht bei solchen Verkehrsprojekten haben? Das alles ging mir heute bei der Fahrraddemo nebenbei durch den Kopf, die mich ob der empfundenen Ohnmacht gegenüber all dieser Entmenschlichung und Entsinnlichung unseres Lebens ein bisschen zuversichtlich stimmte.

Carmen Hoyer, 19.09.2020